Evangelina Kraniotis sphärischer Dokumentarfilm ,Obscuro Barroco‘ verspricht die „Geschichte einer stillen Finsternis“, indem er den Erfahrungen des Trans-Charakters Luana Muniz folgt, wie sie sich im Karneval von Rio de Janeiro einen Weg durch die Straßen bahnt. Im Laufe des Films erleben wir eine Bewegung aus der Nacht zum Tag und die Schlussszene des Films zeigt Sonnenstrahlen, die sich über den Horizont erstrecken. Die Verwandlung der Stadt aus dem Dunkel hin zum Licht symbolisiert die Metamorphose der Geschlechter, wie sie im Film gezeigt wird, aber gleichzeitig auch allgemein die Trans-Bevölkerung in dieser Region, die immer sichtbarer wird. Wie der Trans-Protagonist in die Morgendämmerung Rios tritt, so treten auch zahlreiche Trans-Künstler auf brasilianische Bühnen. Dieser Dokumentarfilm von Kraniotis ist nur einer von zahlreichen brasilianischen und lateinamerikanischen Filmen im Programm des Teddy Awards 2018, der queere und Transkultur zelebriert. So etwa auch ‚Bixa Travesty‘ von Regisseur Kiko Goifman, eine empfindsame Filmbiographie über die brasilianische Trans-Sängerin Linn da Quebrada. Zu den zunehmenden Darstellungen von Trans-Personen auf den großen Leinwänden reihen sich entsprechende Entwicklungen in kleineren Rahmen. Die Daily-Soap ‚Edge of Desire‘, ein Bericht über die Geschlechtsumwandlung eines Trans-Manns, fesselte 2017 pro Nacht 50 Millionen Fernsehzuschauer. Die Sendung wurde vom brasilianischen Medien-Netzwerk Globo ausgestrahlt und war die erste Soap in der Geschichte des Landes mit einem Trans- Charakter in einer Hauptrolle. Außerdem stellte der Trans-Sänger Pabllo Vittar in diesem Jahr mit seinem Lied Sua Cara einen neuen Klick-Rekord bei YouTube auf und die Show des britischen Bühnenautors Jo Clifford, ‚The Gospel According to Jesus, Queen of Heaven’, die Jesus als eine Trans-Frau zeigt, ist seit seinem Debüt 2016 ständig auf allen Bühnen des Landes ausverkauft. Brasilien beheimatet eine große Gemeinschaft von Trans-Menschen, neben Angehörigen der travestis. Dieses „dritte Geschlecht“ des Landes beschreibt Personen, die bei Geburt als Männer eingeordnet wurden, aber eine weibliche Geschlechtsidentität ausleben. Ihre jährliche Pride-Parade in Sao Paolo ist die größte der Welt und zog im vergangenen Jahr drei Millionen Besucher an. Auch hinsichtlich LGBTQ-Rechten stellt das Land ein Paradebeispiel dar: Als eine der ersten überhaupt arbeitete die Regierung des Landes mit solchen Organisationen zusammen und bot HIV- und Aids-Erkrankten kostenlose medizinische Behandlung. 2013 kam dazu die gesetzliche Anerkennung der gleichgeschlechtlichen Ehe sowie des Rechts darauf, seinen Namen und die Geschlechtsangabe auf einigen vom Staat ausgestellten persönlichen Dokumenten zu ändern. Folglich spiegelt sich die wachsende rechtliche Umsetzung von Trans-Identitäten zwangsläufig auch in der Ausgestaltung dieser in der brasilianischen Kunstszene wider. Trotzdem schwebt eine dunkle Wolke über diesen Fortschritten: Mehr Sichtbarkeit im öffentlichen Raum wird gleichzeitig von mehr und lauter werdender Feindseligkeit begleitet. In der Kunstwelt zeigt diese Feindseligkeit sich in Form von gesellschaftlicher Zensur – zwei Ausstellungen queerer Kunst wurden in diesem Jahr in Brasilien frühzeitig wegen politisch rechter und christlich-konservativer Proteste geschlossen. Im täglichen Leben manifestiert sich die Opposition gegenüber der Queer- und Trans-Gemeinschaft in Form brutaler Gewalt. Machismo-Kultur ist in weiten Teilen Lateinamerikas noch stark vertreten: Laut der UNO wird in Sao Paulo alle 15 Sekunden eine Frau angegriffen und 2017 wurden 200 LGBTQ-Personen in Brasilien ermordet. Besonders Trans-Menschen sind stark gefährdet, wie grausamerweise im letzten Jahr ein sich rasend schnell verbreitendes Video zeigte, in dem die Trans-Frau Dandara dos Santos in Fortaleza gequält und getötet wurde. Wir sind vermutlich noch viele Jahre davon entfernt, bis Trans-Kunst in ein Rampenlicht treten kann, das nicht von solchen Vorurteilen und Gewalt beschmutzt ist. Heute aber müssen wir den Mut der zahlreichen Filmemacher, Schauspieler, Sänger und Theaterbesucher anerkennen, die öffentlich queere und Trans-Kultur zelebrieren, trotz dieser Feindseligkeiten. Übersetzung: Martina Zigmund [1] https://www.nytimes.com/2017/10/07/world/americas/brazil-transgender-pabllo-vittar.html [2] https://www.nytimes.com/2017/10/07/world/americas/brazil-transgender-pabllo-vittar.html [3] https://www.youtube.com/watch?v=hWNQtlsvQiY [4] http://www.rioonwatch.org/?p=37249 [5] http://www.rioonwatch.org/?p=37249 [6] http://www.bbc.com/news/world-latin-america-33939470
Alle Beiträge von Hannah Congdon
TEDDY AWARD CEREMONY 2018
Für alle, die es in diesem Jahr nicht zum TEDDY AWARD geschafft haben: Hier findet ihr die Aufzeichung der Preisverleihung aus dem Haus der Festspiele Berlin ! Zu den Höhepunkten zählen, neben der Vergabe der TEDDY AWARDs, die Stellungnahme von Staatsminister Michael Roth, die Proklamation von Markus Pabst gegen jegliche Art vom Homophobie, Jack Woodheads umgedrehtes Klavierspiel, die Performance von Tim Kriegler und Dou Sienna sowie Linn da Quebrada’s atemberaubende Bühnenperformance.
Schaut rein, teilt, liked und habt Spass…
Sonntag Februar 25
Contra-Internet: Jubilee 2033
Director: Zach Blas,
USA/Great Britain 2018 29′, English, Spanish
Kino International, 16:00
The Happy Prince
Director: Rupert Everett
Germany/Belgium/Italy 2017 105′, English, French, Italian
Friedrichstadt-Palast, 09:30
Las herederas (The Heiresses)
Director: Marcelo Martinessi
Paraguay/Uruguay/Germany/Brazil/Norway/ France 2018, 95′, Spanish
Haus der Berliner Festspiele, 19:00
Mes provinciales (A Paris Education)
Director: Jean Paul Civeyrac
France 2018 136′, French
CineStar 3, 20:15
River’s Edge
Director: Isao Yukisada
Japan 2018 118′, Japanese
Cubix 9, 14:30
Three Centimetres
Director: Lara Zeidan
Great Britain 2017 9′, Arabic
International, 16:00
Tinta Bruta (Hard Paint)
Director: Marcio Reolon, Filipe Matzembacher
Brazil 2018
118′, Portuguese
CineStar 3, 17:45
Yours in Sisterhood
Director: Irene Lusztig
USA 2018 101′, English
Zoo Palast 2, 13:00
TEDDY TODAY: Freitag Februar 23
Don’t Worry, He Won’t Get Far on Foot
Director: Gus Van Sant
USA 2018 113′, English
Zoo Palast 1, 12:30
Evidentiary Bodies
Director: Barbara Hammer
USA 2018, 10′, Without dialogue
Akademie der Künste, 18:00
Garbage
Director: Q
India 2018 105′, Hindi
Cubix7, 20:15
Hojoom (Invasion)
Director: Shahram Mokri
Iran 2017 102′, Farsi
Cubix 7, 22:30
Ludwig der Zweite, König von Bayern (Ludwig II of Bavaria)
Director: Wilhelm Dieterle
Germany 1930, 132′, German intertitles
Zeughauskino, 21:30
Obscuro Barroco
Director: Evangelia Kranioti
France/Greece 2018 60′, Portuguese
Zoo Palast 2, 16:00
Para Aduma (Red Cow)
Director: Tsivia Barkai Yacov
Israel 2018 90′, Hebrew
CinemaxX 3. 13:30
Shakedown
Director: Leilah Weinraub
USA 2018 82′, English
CineStar 7, 14:30
T.R.A.P
Director: Manque La Banca
Argentina 2018 16′, Spanish
CinemaxX 3, 21:30
Touch Me Not
Romania/Germany/Czech Republic/Bulgaria/
France 2018
Director: Adina Pintilie 125′, English, German
Friedrichstadt-Palast, 12:00
Tuzdan kaide (The Pillar of Salt)
Director: Burak Çevik
Turkey 2018 70′, Turkish
CinemaxX 4, 22:00
TEDDY TODAY: Mittwoch Februar 21
Heute ist ein Tag für die Wagemutigen, denn wir haben eine Reihe von Prämieren bekannter Regisseure experimenteller Filme im Programm. Jerry Tartaglia blickt in ‚Escape From Rented Island‘ auf das Werk von Jack Smith zurück, Irene Lusztig lässt in ‚Yours in Sisterhood‘ die Stimmen von Schriftstellerinnen aus den 70er Jahren mit denen von Frauen aus der heutigen Zeit ineinanderfließen und Barbara Hammer setzt in ‚Evidentiary Bodies‘ durchsichtige Bewegtbilder von Körper, abgebildet auf Filmrollen, ein, um die verschiedenen Zyklen von Leben und Tod eines Körpers zu erkunden. All diese Filmemacher hier behandeln die Notwendigkeit von Archivierung, stellen unsere Arten zu dokumentieren infrage und erhalten die Sichtbarkeit von Gemeinschaften, die in der Vergangenheit in die Schattenseiten unserer Geschichte verbannt wurden.
Der TEDDY AWARD selbst engagiert sich durch seine Partnerschaft mit der Queer Academy für den Erhalt queerer kultureller Erinnerungen. Besucht die Internetseite der Queer Academy und taucht ein in die Geschichte des LGBT-Films: https://queeracademy.net.
Viel Spaß am heutigen Filme-Mittwoch!
Escape From Rented Island: The Lost Paradise of Jack Smith
Director: Jerry Tartaglia
Akademie der Künste, 21:30
Jerry Tartaglia, langjähriger Archivar und Restaurator des filmischen Nachlasses der queeren New Yorker Underground-, Experimentalfilm- und Performance-Legende Jack Smith, widmet sich in seinem Essayfilm weniger dem Leben, als dem Werk Smiths und fächert dessen ästhetische Idiosynkrasien in 21 thematischen Kapiteln auf. „Escape From Rented Island: The Lost Paradise of Jack Smith ist ein Essayfilm über das Werk
des Künstlers und weniger ein Dokumentarfilm über dessen Leben. Er bietet also keine rationale, lineare und distanzierte Erklärung seines Werks. Vielmehr ist das Publikum aufgefordert, Jack Smiths ästhetische Entscheidungen ganz unvoreingenommen zu erleben. Meine Strategie ist eine Herausforderung für die Zuschauer*innen, besonders für jene, die in Dokumentarfilmen gern erklärende Kommentare hören oder zusätzliches, extradiegetisches Material präsentiert bekommen. Wer Jack Smiths unverwässerte Vision nicht erträgt, darf von mir keine Entschuldigung erwarten – lediglich eine Einladung, ihn in sein verlorenes Paradies zu begleiten.“
Evidentiary Bodies
Director: Barbara Hammer
USA 2018, 10′, Without dialogue
Kino Arsenal 1, 15:30
Auch ein Leben, das zwischen den Perforationen eines Filmstreifens abläuft, kann tanzen. Die Schönheit des menschlichen Körpers, sei er auch versehrt, tanzt weiter. Hoffnung lebt nicht ewig, sondern täglich. Ein Publikum, versunken in drei Leinwände, spürt die Umklammerung der Krankheit, die Isolation des physischen Körpers. Die endlose Filmschleife läuft, doch sie kann der Protagonistin keinen Halt geben. Die Zeit
ist dehnbar, der Körper verändert sich und der Film beginnt erneut. Eine Trilogie des Selbst, Zeugin von Verfall und Leid, das Undenkbare vollbringend, unaufhaltsam, ein Totentanz. Drei umgibt, umschließt, umarmt die Eine, die nicht für sich stehen kann. Wir – menschliche Wesen auf einem kleinen Globus, vereint durch evolutionäre Struktur und biologische DNA – haben die Chance, durch Empathie und Identifikation mit dem empfindsamen Körper zueinanderzufinden. Ein unausgesprochenes Plädoyer an die Zuschauer*innen, Mitgefühl zu spüren, Verletzlichkeit zuzulassen, die Evidenz des Körpers zu erkennen, eines Körpers, der auch ihr eigener Körper ist.
Tuzdan kaide (The Pillar of Salt)
Director: Burak Çevik
Turkey 2018 70′, Turkish
CineStar 8, 16:30
Eine schwangere junge Frau, die in einer Art Höhle lebt, sucht ihre verschwundene Schwester. Reiz, Reichtum und Radikalität dieses ersten Langfilms von Burak Çevik sind mit diesem Handlungsfaden nur unzureichend beschrieben. Sie liegen vielmehr in der Freiheit, die er sich nimmt, um für seine Erzählung eine extravagante Filmwelt zu erschaffen. Aus der fast an ein Märchen erinnernden Höhle setzt die Protagonistin über einen Fluss und nimmt die Spur ihrer Schwester auf. Die führt sie in einen botanischen Garten, eine Vogelhandlung, eine Dunkelkammer. Die Fotolaborantin vergleicht den Effekt von Fotografien damit, wie Gott Lots Frau zur Salzsäule erstarren ließ, weil sie der Versuchung, sich umzudrehen und Sodoms Zerstörung anzuschauen, nicht widerstehen konnte. Für die Ewigkeit festgehalten, in Ewigkeit erstarrt – muss man es also für bare Münze nehmen, wenn die Protagonistin der Bootsfrau erzählt, sie sei eine Teilzeit-Vampirin? Die Versonnenheit, mit der der Film abschweift und uns Pflanzen, einen Negativstreifen, oder ein Tischtennismatch zeigt, trägt erheblich zu dem Sog bei, den er entfaltet. Dabei bleibt manches rätselhaft und macht auf mögliche Referenzen umso neugieriger.e
Yours in Sisterhood
Director: Irene Lusztig
USA 2018 101′, English
Delphi Filmpalast, 18:45
Atlanta, vor einer Tankstelle an einer kleinstädtischen Straßenkreuzung. Bowling Green, Kentucky, auf einem Privatanwesen mit perfekt gepflegtem Rasen. Ein Garten vor einem Einfamilienhaus in Connecticut. Auf den ersten Blick sind es unscheinbare Orte, an denen Irene Lusztig auf ihrer zweijährigen Reise durch die USA mehrheitlich Frauen bittet, Leserbriefe vorzulesen und zu kommentieren, die aus dem Archiv der liberal- feministischen Zeitschrift „Ms.“ stammen. Geschrieben vor ungefähr 40 Jahren, zumeist von Frauen, die in der Zeitschrift erschienene Artikel zum Anlass nahmen, von sich zu erzählen – offenherzig, privat, oft erleichtert, manchmal erbost. In den Briefen geht um Schwangerschaftsabbrüche, um lesbische Liebesaffären von verheirateten Frauen, um die Ignoranz des Magazins gegenüber Lebenswirklichkeiten schwarzer Frauen… Irene Lusztig gelingt es in ihrer dokumentarischen Inszenierung, einen Fundus der Frauenbewegung von damals in eine vielschichtige Beziehung mit der Gegenwart zu bringen. Das Wort steht dabei nur vermeintlich im Vordergrund. Dem Publikum ist es überlassen, einen feministischen Kosmos zu entdecken, den Yours in Sisterhood auf vielen Ebenen zugänglich macht.