Schlagwort-Archive: Interview

TEDDY TODAY: 18. Februar 2024

Heute feiern vier queere Werke ihre Premiere auf der 74. Berlinale. Außerdem haben wir gleich mehrere Interviews für euch am Start, die einen interessanten Einblick in die Entstehung der Filme geben.

INTERVIEWS:

Tú me abrasas

Tú me abrasas ist eine Adaption von „Meeresschaum“, einem Kapitel aus Cesare Paveses „Dialoghi con Leucò“, in dem die griechische Dichterin Sappho und die Nymphe Britomartis über Sehnsucht und Tod sprechen.

Premiere: 21.02 / 12:00 Akademie der Künste

🎥 22.02 / 22:15 Cubix 7
🎥 23.02 / 16:00 Zoo Palast 2
🎥 24.02 / 12:45 Cubix 8

Auf der Suche nach noch mehr Informationen über den Film? Dann klicke HIER!

Reas

Sanft – kantig, blond – rasiert, cis – trans; erfahren oder neu: Im „Caseros“-Knast von Buenos Aires re-enacten Frauen ihre Leben, in Trance-Balance, beim Voguing und in der Band. Empowerment im Kollektiv. Ein Musical, hybrid und unendlich charmant.

Premiere: 18.02/ 18:00 Delphi Filmpalast
🎥20.02/ 19:00 Cubix 7
🎥22.02/ 22:00 Arsenal 1
🎥23.02/ 19:00 Zoo Palast 2

Du möchtest noch mehr über den Film erfahren, dann klicke hier!

PREMIEREN:

Betânia

Regie: Marcelo Botta
2024, Brasilien, 120′

Filmstill Betânia ©  Felipe Larozza / Salvatore Filmes

Nach dem Verlust ihres Mannes wird die 65-jährige Hebamme Betânia von ihren Töchtern überredet, ihr abgelegenes Dorf zu verlassen. Sie zieht in die Nähe der Sanddünen von Lençóis Maranhenses im Norden Brasiliens und wagt einen Neuanfang.

SCREENING TIMES:

18.02. / 21:30 Zoo Palast 1

Ještě nejsem, kým chci být (I’m Not Everything I Want to Be)

Regie: Klára Tasovská
2024, Tschechien, Slowakei, Österreich, 90′

Filmstill Ještě nejsem, kým chci být (I’m Not Everything I Want to Be) © Libuše Jarcovjáková

Nach der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 versucht die Fotografin Libuše Jarcovjáková den Zwängen des repressiven tschechoslowakischen Regimes zu entkommen und begibt sich auf eine lange Reise in Richtung Freiheit.

SCREENING TIMES:

18.02. / 16:30 Kino International

Love Lies Bleeding

Regie: Rose Glass
2023, USA, UK, 103′

Filmstill Love Lies Bleeding © A24

SCREENING TIMES:

18.02. / 21:00 Verti Music Hall

Jackie, eine ehrgeizige Bodybuilderin auf der Durchreise nach Las Vegas, verliebt sich in die verschlossene Fitnessstudio-Managerin Lou. Doch ihre Liebe entfacht Gewalt, und die beiden verstricken sich tief in das Netz krimineller Machenschaften von Lous Familie.

Reas

Regie: Lola Arias
2024, Argentinien, Deutschland, Schweiz, 82′

Filmstill Reas © Gema Films

Sanft – kantig, blond – rasiert, cis – trans; erfahren oder neu: Im „Caseros“-Knast von Buenos Aires re-enacten Frauen ihre Leben, in Trance-Balance, beim Voguing und in der Band. Empowerment im Kollektiv. Ein Musical, hybrid und unendlich charmant.

SCREENING TIMES:

18.02. / 18:00 Delphi Filmpalast

RERUNS:

All Shall Be Well
18.02. / 12:30 Cubix 9

Crossing
18.02. / 10:00 Cubix 5

Sex
18.02. / 21:30 Cubix 8

Sieger Sein (Winners)
18.02. / 12:30 Filmtheater am Friedrichshain
18.02. / 14:00 Neue Kammerspiele (Kleinmachnow)

The Visitor
18.02. / 15:30 Cubix 9

Young Hearts
18.02. / 15:45 Cubix 8

TEDDY TODAY: 17. Februar 2024

Der dritte Tag der Berlinale ist hier und hat gleich mehrere interessante TEDDY Filme im Gepäck.

The Visitor

Am Themseufer in London wird ein Geflüchteter in einem kleinen Koffer angespült. Er kommt in das Haus einer gutbürgerlichen Familie und verführt, dargestellt in expliziten Sex-Szenen, jedes einzelne Familienmitglied. Neuinterpretation von Pasolinis Teorema.

Premiere: 17.02/ 22:00 Kino International

🎥18.02/ 15:30 Cubix 9
🎥21.02/ 22:00 Kino International
🎥22.02/ 21:30 Cubix 5

Mehr Informationen zum Regisseur und dem Film findest du HIER!

All Shall Be Well

Als ihre Lebensgefährtin Pat unerwartet stirbt, muss Angie um die Wohnung bangen, in der das Paar über 30 Jahre gemeinsam gelebt hat. Für Angie beginnt ein später Emanzipationsprozess, bei dem sie von ihrer Wahlfamilie unterstützt wird.

🎥 17.02 / 21:30 Cubix 8
🎥 18.02 / 12:30 Cubix 9
🎥 21.02 / 10:00 Cubix 5
🎥 23.02 / 12:00 Haus der Berliner Festspiele
🎥 25.02 / 15:30 Cineplex Titania

Weitere Informationen zum Film findet ihr hier!

Cura Sana

Spanien am Feiertag Noche de San Juan. Die Schwestern Jessica und Alma sind, wie so oft, auf dem Weg zur Versorgungsstation der Caritas. Obwohl sie zu Hause Gewalt erleben, versuchen die beiden, den Kreislauf zu durchbrechen und einander mit Liebe zu begegnen.

🎥19.02./ 13:30 Kino International
🎥20.02/ 18:45 Cubix 8
🎥23.02/ 12:30 Filmtheater am Friedrichshain
🎥25.02/ 18:30 Cineplex Titania

Ihr wollt noch mehr über den Film erfahren, dann klicke hier!

PREMIEREN:

Sex

Regie: Dag Johan Haugerud
Norwegen, 2024, 125′

Filmstill Sex © Motlys

Zwei Schornsteinfeger, die beide in monogamen heterosexuellen Ehen leben, finden sich jeweils in Situationen wieder, die sie dazu anregen, ihre Vorstellungen von Sexualität und Geschlechterrollen zu überdenken.

SCREENINGS:

17.02/ 16:30 Zoo Palast 1

The Visitor

Regie: Bruce LaBruce
United Kingdom, 2024, 101′

Filmstill The Visitor © LaBruce / A/POLITICAL

Am Themseufer in London wird ein Geflüchteter in einem kleinen Koffer angespült. Er kommt in das Haus einer gutbürgerlichen Familie und verführt, dargestellt in expliziten Sex-Szenen, jedes einzelne Familienmitglied. Neuinterpretation von Pasolinis Teorema.

SCREENINGS:

17.02/ 22:00 Kino International

Young Hearts

Regie: Anthony Schatteman
Belgien, Niederlande, 2024, 97′

Filmstill Young Hearts © Thomas Nolf

Der 14-jährige Elias fühlt sich in seinem Dorf zunehmend wie ein Außenseiter. Als er seinen neuen Nachbarn und Altersgenossen Alexander kennenlernt, wird sich Elias seiner erwachenden Sexualität bewusst.

SCREENINGS:

17.02/ 16:00 HKW1 – Miriam Makeba Auditorium

RERUNS:

All Shall Be Well
17.02/ 21:30 Cubix 8

Crossing
17.02/ 12:30 Cubix

Cuckoo
17.02 / 09:30 Haus der Berliner Festspiele
17.02 / 15:15 Verti Music Hall
17.02 / 21:30 Cubix 9

detours while speaking of monsters
17.02/ 21:00 Kino Betonhalle @silent green

Grandmamaauntsistercat
17.02/ 21:00 Kino Betonhalle @silent green

I Don´t Want To Be Just A Memory
17.02/ 21:00 Kino Betonhalle @silent green

Sieger sein (Winners)
17.02/ 10:00 Zoo Palast 2

TEDDY TODAY: 16. Februar 2024

Willkommen zurück am zweiten Tag der 74. Berlinale und ihrem queeren Programm. Heute gibt es mehrere Premieren von umwerfenden queeren Filmen sowie die TEDDY Jury Reception. Weitere Informationen zu der Veranstaltung findet ihr hier. Heute feiern gleich sechs Filme Premiere und wir haben zwei tolle Interviews für euch.

INTERVIEWS:

Teaches for Peaches

„Have you heard the Teaches of Peaches? Don´t miss this tour the force portrait of an uncompromising and unapologetic queer icon. Free yourself and fuck the pain away!“

Mit exklusivem privatem Archivmaterial und spektakulären Aufnahmen von der „The Teaches of Peaches Anniversary Tour“ 2022 zeigt der Film die Transformation der Kanadierin Merrill Nisker zur international gefeierten Künstlerin Peaches.

Premiere: 21.02 / 21:30 Zoo Palast 1

🎥 22.02 / 18:30 Cubix 9
🎥 23.02 / 12:15 Verti Music Hall

Mehr Informationen zum Film gibt es hier!

I Don´t Want To Be Just A Memory

„In this deeply moving film about loss and collective grief, Berlin’s queer community raises awareness about the ever growing issue of substance-related deaths in the scene. An emotive and urgent piece of filmmaking.

In Trauer um verstorbene Freund*innen teilen Mitglieder der queeren Community Berlins Erinnerungen und Rituale. Wie fluoreszierende Pilze strahlen sie gemeinsam ihr Licht aus, als stützendes und sorgendes Netzwerk.

Premiere: 16.02/ 16:00 Kino Arsenal 1

🎥 17.02/ 21:00 Kino Betonhalle@Silent Green
🎥 22.02/ 19:30 Kino Arsenal 2
🎥 22.02/ 19:30 Cubix 7
🎥25.02/ 19:00 Kino International

Noch mehr spannendes Wissen über den Film gibt es hier!

PREMIEREN:

All Shall Be Well

Regie: Ray Yeung
Hong Kong, China, 2024, 93′

Filmstill All Shall Be Well © Mise en Scene filmproduction

Als ihre Lebensgefährtin Pat unerwartet stirbt, muss Angie um die Wohnung bangen, in der das Paar über 30Jahre gemeinsam gelebt hat. Für Angie beginnt ein später Emanzipationsprozess, bei dem sie von ihrer Wahlfamilie unterstützt wird.

SCREENING TIMES:

16.02. / 19:30 Kino International

Cuckoo

Regie: Tilman Singer
2024, Deutschland, USA, 102′

Filmstill Cuckoo ©  NEON

Gretchen reist mit ihrem Vater und ihrer Stiefmutter in die deutschen Alpen. In dem Ferienort stößt sie auf dunkle Geheimnisse. Sie hört
seltsame Geräusche und wird von beängstigenden Visionen geplagt, in denen sie von einer Frau verfolgt wird. Gretchen wird in eine
Verschwörung hineingezogen. Darin geht es um die bizarren Experimente des Eigentümers des Resorts, deren Vorgeschichte
Generationen zurückreicht …

SCREENING TIMES:

16.02. / 21:00 Verti Music Hall

detours while speaking of monsters

Regie: Deniz Şimşek
Deutschland, Türkei, 2024, 18′

Filmstill detours while speaking of monsters ©  Deniz Şimşek

Hier, wo selbst Monster politisch sind, hat die Topografie ihr eigenes Gedächtnis. Sie hat den mythologischen Blues. Unterdessen sind alte Gottheiten sauer auf uns und ich bin sauer auf meinen Vater.

SCREENING TIMES:

16.02. / 16:00 Kino Arsenal 1

Grandmamauntsistercat

Regie: Zuza Banasińska
Niederlande, Polen, 2024, 23′

Filmstill Grandmamauntsistercat ©  Zuza Banasińska / Educational Film Studio in Łódź

Die Collage aus Filmmaterial aus dem kommunistischen Polen erzählt von einer matriarchalen Familie, die aus unterschiedlichen Spezies besteht. Die Erzählerin – ein Kind – hadert mit der Reproduktion ideologischer und repräsentativer Systeme.

SCREENING TIMES:

16.02. / 16:00 Kino Arsenal 1

I Don’t Want To Be Just A Memory

Regie: Sarnt Utamachote
Deutschland, 2024, 20′

Filmstill I Don’t Want To Be Just A Memory © Nordic Media House

Mitglieder der queeren Community Berlins betrauern gemeinsam den Verlust einiger Freund*innen, deren Tode mit Drogenmissbrauch und der allgemeinen Krise mentaler Gesundheit im Zusammenhang stehen, sowie den Verlust sicherer urbaner Räume. Die Arbeit an diesem Film wird für den Freund*innenkreis zum Mittel der Heilung. Sie teilen persönliche Gegenstände und Geschichten miteinander und äußern ehrliche Kritik an der Clubszene. Wie fluoreszierende Pilze strahlen sie gemeinsam ihr Licht aus, als stützendes und sorgendes Netzwerk, das tote Körper und Erinnerungen in eine kollektive Struktur verwandelt und zukünftiges Leben erhält.

SCREENING TIMES:

16.02. / 16:00 Kino Arsenal 1

Sieger Sein (Winners)

Regie: Soleen Yusef
Deutschland, 2024, 119′

Filmstill Sieger Sein (Winners) © Stephan Burchardt / DCM

Die elfjährige Mona ist mit ihrer siebenköpfigen kurdischen Familie aus Syrien geflüchtet und in Berlin gelandet, genauer gesagt im Bezirk Wedding. Dort kommt sie an eine berüchtigte Grundschule. 90 Prozent „Ausländeranteil“. Hier herrscht Chaos. Die meisten Lehrkräfte sind mit den Nerven am Ende, und bei den Schüler*innen steigt das Frustlevel täglich. Auch bei Mona. Deutsch kann sie kaum, dafür aber Fußball. In ihrer Heimat hat sie oft mit ihren Freund*innen auf der Straße Fußball gespielt. Sie vermisst ihr Zuhause, die Freund*innen und besonders ihre Tante Helin. Sie war Monas Heldin und hat deren Fußballleidenschaft stets unterstützt. In Deutschland ist alles anders. Herr Che, ein engagierter Lehrer, erkennt Monas außergewöhnliches Talent und nimmt sie in die Mädchenmannschaft auf. Gut gemeint, aber alles andere als einfach. Mona gilt schnell als Außenseiterin, und das Zusammenspiel mit den anderen Mädchen gestaltet sich schwieriger als gedacht. Jede von ihnen kämpft ihre eigenen Kämpfe, doch bald wird klar: Nur wenn sie zusammenspielen, können sie gewinnen.

SCREENING TIMES:

16.02. / 15:30 HKW 1 – Miriam Makeba Auditorium

RERUNS:

Crossing
16.02. / 12:00 Verti Music Hall

Interview mit Dr. Benno Gammerl

Wir haben ein Interview mit Dr. Benno Gammerl geführt. Er ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max Planck Institut für Bildungsforschung.

  • Was ist der Stand der Forschung über die Kontinuitäten des Paragraphen 175 nach dem Nationalsozialismus?

Die Situation Männer begehrender Männer in den 1950er und 1960er Jahren erfreut sich erst seit einigen Jahren zunehmender Aufmerksamkeit. Nicht zuletzt aufgrund der schlechten Presse, welche die „Homophilen“ der Nachkriegsdekaden bei den Wortführern der Schwulenbewegung hatten, waren sie lange in Vergessenheit geraten. Die rechtliche Entwicklung in Ost und West zwischen 1945 und 1969 ist mittlerweile zumindest in groben Zügen dokumentiert, ähnliches gilt für die Strukturen der polizeilichen Verfolgung und für die Nicht-Anerkennung homosexueller KZ-Häftlinge als Opfer des NS-Regimes. Was nach wie vor weitgehend im Dunkeln liegt sind die politischen Bemühungen der „Homophilen“ um Anerkennung und Entkriminalisierung sowie vor allem der Alltag Männer liebender Männer in dieser Zeit: Wie gingen sie mit Verfolgung und Diskriminierung um? Wie schafften sie es, trotz alledem subkulturelle Strukturen zu etablieren? Wie gestaltete sich homophiles Leben und gleichgeschlechtliches Begehren zwischen Ängsten und Hoffnungen, „Josephsehen“ und Bahnhofstoiletten, Gefängniszellen und Theaterlogen?

  • Was sind Ihre Gedanken über das Projekt von Justizminister Maas und die Diskussionen über die Rehabilitation für die Opfer von Paragraph 175?

Es ist ausgesprochen erfreulich, dass die Kriminalisierung des gleichgeschlechtlichen Begehrens im allgemeinen und die verschärfte Fassung des § 175, die die Entgrenzung und Intensivierung der Homosexuellenverfolgung im Dritten Reich und in der frühen Bundesrepublik ermöglichte, von offizieller Seite nun endlich als ein fundamentaler Verstoß gegen die Menschenrechte gebrandmarkt werden. Christine Lüders, der Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes

, gebührt große Anerkennung dafür, dass sie diese Debatte maßgeblich vorangetrieben hat. Dem Rechtsstaat bietet sich so die Gelegenheit, kritische Perspektiven auf seine eigene Geschichte zu entwickeln, und sich von dem begangenen Unrecht zu distanzieren. Und die Männer, die verurteilt wurden, können auf eine – wenn auch reichlich späte – Wiedergutmachung hoffen. Allerdings richtete der § 175 auch jenseits von Gefängnisstrafen großen Schaden an. Beziehungen gingen kaputt, Menschen wurden gekündigt, gewalttätige Angriffe waren keine Seltenheit, manche sahen nur im Freitod noch einen Ausweg. Wie will der Gesetzgeber dieses Leid, für das er letztlich verantwortlich war, entschädigen?

  • Glauben Sie, dass dieses Projekt die Diskussion über den Paragraph 175 im deutschen öffentlichen Raum widerspiegelt?

Ich denke, vielleicht ist es auch eher eine Hoffnung, dass der überwiegende Teil der deutschen Öffentlichkeit heute eine Kriminalisierung des gleichgeschlechtlichen Begehrens für moralisch nicht vertretbar erachtet und ablehnt. Insofern vollzieht die politische Debatte über Rehabilitierung einen Meinungswandel nach, der sich im Lauf der letzten ungefähr dreißig Jahre vollzogen hat. Was mich mitunter überrascht ist, wie wenigen Leuten die Tatsache bekannt ist, dass die Entkriminalisierung der Homosexualitäten im Wesentlichen ein Verdienst der späten DDR ist. Erst 1994 im Zuge der Angleichung des west- und des ostdeutschen Strafrechts stimmte auch der Bundestag der endgültigen Abschaffung des § 175 zu. Wahrlich kein Ruhmesblatt des bundesdeutschen Rechtsstaats.

© F.K Schulz
© F.K Schulz

 

Interview mit Dr. Nina Reusch

Wir haben ein Interview mit Dr. Nina Reusch geführt. Sie ist Historikerin am Friedrich-Meinecke-Institut und Mitglied des Projekts „LSBTTIQ in Baden-Württemberg„.

  • Was ist der Stand der Forschung über die Kontinuitäten des Paragraphen 175 nach dem Nationalsozialismus?

Bereits seit den 1970er Jahren entstanden beachtliche Forschungsleistungen im Kontext der homosexuellen Emanzipationsbewegung. Mittlerweile kommt das Thema auch mehr und mehr in der akademischen Wissenschaft an – das tut nicht nur der Forschung gut, die dadurch breiter und differenzierter werden kann, sondern auch der Geschichtswissenschaft, die so in Berührung mit queeren Fragestellungen und Forschungsthemen kommt.

  • Können Sie uns ein bisschen über Public History erzählen und über Geschichtsunterricht in den deutschen Schulen?

Insgesamt gehört queere Geschichte nicht zum Standardrepertoire in deutschen Schulen, aber es gibt diverse Projekte, die dort ansetzen. Hier in Berlin findet immer im Februar der Queer History Month statt, in dem Schulklassen sich mit queerer Geschichte und anderen queeren Themen inhaltlich oder künstlerisch auseinandersetzen. Zusätzlich bietet die Homepage des Projekts Unterrichtsentwürfe und Materialien für Lehrer_innen an, die gern queere Themen in den Geschichtsunterricht bringen möchten. Auch jenseits der Schule bringen Public History-Projekte queere Geschichte in die Öffentlichkeit – so etwa mit der Ausstellung Homosexualitäten des Schwulen Museums* und des DHM, oder, wie derzeit in Baden-Württemberg, in Verbund mit Forschungsprojekten. Dort startete im letzten Jahr ein Projekt, das Forschung und Public History zur regionalen queeren Geschichte verbindet und partizipative Angebote schafft.

  • Was sind Ihre Gedanken über das Projekt von Justizminister Maas und die Diskussionen über die Rehabilitation für die Opfer von Paragraph 175?

Die angedachte Rehabilitation der Männer, die nach Paragraph 175 verurteilt wurden, ist ein begrüßenswertes und fast schon überfälliges Projekt. Auch eine angemessene Entschädigung für die Opfer dieser homophoben Rechtsprechung sollte umgesetzt werden.

  • Glauben Sie, dass dieses Projekt die Diskussion über den Paragraph 175 im deutschen öffentlichen Raum widerspiegelt?

Ich denke, vielen Menschen war vor der Ankündigung des Justizministers nicht einmal bewusst, dass gleichgeschlechtlicher Sex unter Männern überhaupt so lang strafrechtlich verfolgt wurde in der Bundesrepublik. Daher hat die Diskussion auch erst einmal ein Bewusstsein geschaffen und ist auch daher zu begrüßen.