Queer Academy Konferenz Panel 1: Queer Archives

Hier findet ihr die Fragestellung des ersten Panels der QA-Konferenz zum Thema „Re-imagining the Queer Archive“ und es werden die Teilnehmer und Moderatoren des Panels vorgestellt. Jeder Teilnehmer wurde gebeten ein persönliches Statement zu dem Thema des Panels abzugeben, welches ihr jeweils im Anschluss an die Biografie findet.

Für weitere Informationen findet ihr hier das Programmheft der Queer Academy Konferenz.


PANEL 1: Re-imagining the Queer Archive

Fragestellung:

Auf diesem Panel möchten wir die Begriffe und Realitäten der zeitgenössischen Archivarbeit im Bezug auf das Medium Film diskutieren. Der thematische Bogen ist gegeben durch das Adressieren einer norm-kritischen, queeren Perspektive, die die Arten wie kulturelles Gedächtnis innerhalb hegemonialer Machtstrukturen konstruiert wird, differenziert und herausfordert. Minderheiten wurden aus klassischen Archiven ausgesclossen und dienten so als „a manifestation of irrelevance to their nation’s history“. Was können wir tun um die „offizielle“ Version der Vergangenheit anzuzweifeln? Film- und Videokunst muss „ausgewählt“, konserviert, wiederhergestellt und in Umlauf gebracht werden, damit ein lebendes uns konstant fortschreitendes Archiv entsteht, das in unser kulturelles Gedächtnis eingefügt werden kann. Archivale Interventionen müssen eine funktionale und transnationale Erinnerung kreieren, welche durch Teilnahme, Zugang und Diksurse wächst. Aber wie können diese Interventionen in der Theorie und Praxis aussehen? Was definieren wir als Archiv und wie stellen wir das normative Verstehen von Archiven infrage?


Nanna Heidenreich (Moderatorin)

Nanna Heidenreich arbeitet als Dozentin und Forscherin der Medienwissenschaften an der Univerität der Künste in Braunschweig. Sie ist außerdem Ko-Kuratorin Nanna_Protrat_02(1)der Berlinale Sektion “Forum Expanded” (zusammen mit Stefanie Schulte Strathaus, Anselm Franke, Ulrich Ziemons und Bettina Steinbrügge). Sie arbeitete viele Jahre im “Arsenal- Institut für Film- und Videokunst” in Berlin, einschließlich ihrer Mitarbeit an dem Projekt “Living Archive – Archive Work as a Contemporary and Curatorial Practice” (2011-2013). Sie publizierte weitgehend zu Migration, visuelle Kultur und postkoloniale Medientheorie und veröffentlichte DVDs zu politischen, experimentellen und feministischen Filmemacherpraktiken.


Alice Royer

Alice Royer ist eine Film- und Medienwissenschaftlerin, Archivarin und Programmerin aus Los Angeles. Sie ist Projektmanagerin bei „Outfest“, bei dem sie das „Outfest UCLA Legacy Project“ leitet; das einzige Programm der Welt, das sich ausschließlich dem Schutz und Alice_Headshotder Aufrechterhaltung von LGBT-Filmen widmet. Sie ist ebenso eine Assistenz-Programmerin bei „Outfest“ und zeigte Filme auf dem “AFI FEST” und dem “Los Angeles Film Festival”. Darüber hinaus ist Alice Doktorandin der Film- und Medienwissenschaften an der University of California, Los Angeles, wo sie kürzlich ihren Master in Moving Image Archive Studies erhielt.

“Unabhängige und verwaiste LBGTQ Filme wurden in der Geschichte kaum institutionell unterstützt, um so ihren längerfristigen Schutz und ihre Erhaltung zu gewährleisten. Das “Outfest UCLA Legacy Project” wurde 2005 gegründet, als Reaktion auf dieses systematische Versäumnis und bleibt das einzige Programm der Welt das sich ausschließlich dem Sichern und der Aufbewahrung von LGBTQ Filmen für zukünftige Generationen widmet. Eine Kollaboration zwischen “Outfest” und “UCLA Film & Television Archive, the Legacy Project” kämpft mit drei Schwerpunkten gegen die Krise des queeren Films an: Aufbewahrung, Bildung und Zugang. Durch den Zusammenschluss ihrer Kompetenzen brachten “Outfest” und “UCLA Film & Television Archive” ihr Fachwissen über queere Filme in das am längsten bestehende Non Profit- LGBTQ- Film -Projekt ein und vermischten es mit der Aufbewahrung, Erhaltung und akademischen Stärke eines herausragenden Archivs und Bildungseinrichtung. Das “Legacy Project” bemüht sich darum, an Diskursen über queere Filmarchive teilzunehmen und arbeitet mit ähnlich engagierten Inititativen zusammen, in ihrer Arbeit an der Widergutmachung von Generationen des queeren Auslöschens.”


Andreas Kraß

Andreas Kraß ist Professor derAndreas Kraß(1) deutschen Literatur an der Humboldt-Universität Berlin, mit dem Schwerpunkt vormoderne Literatur und Kultur, Gender Studies und Queer Studies. Er ist Mitglied des “ZtG – Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien” an der HU Berlin. Zudem ist er der Leiter des Forschungszentrums Archiv für Sexualwissenschaft, das das kulturelle Erbe von Magnus Hirschfeld und seinem Institut für Sexualwissenschaften (1919-1933) untersucht und wiederbelebt. Er ist Ko-Autor eines Kapitels über queere Literaturgeschichte in Berlin (1871-2015), das im Frühling 2016 veröffentlicht wird (Cambridge Companions). Sein bevorstehendes Buch über Männerfreundschaften in der Literaturgeschichte, wird im Sommer 2016 veröffentlicht.

“Was sind queere Archive und was können sie tun? Der Philosoph Michel Foucault (1926-1984) und die Literaturkritikerin Eve Sedgwick (1950-2009) können helfen diese Fragen zu beantworten. In Archäologie des Wissens (1969) unterscheidet Focault zwischen physischen und diskursiven Archiven. Während physische Archive historische Momente an eine(n) bestimmte(n) Zeit und Ort dokumentieren, regulieren diskursive Archive was an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit hätte gesagt und gedacht werden können. Diese Unterscheidung kann von Nutzen sein, wenn man die Interaktion zwischen „dem heteronormativen Archiv“  auf der einen Seite und dem „queeren Archiv“  auf der anderen Seite analysiert, welches die Voraussetzung der Heteronormativität in Frage stellt und eine non-normative Form des kulturellen Gedächtnis etabliert. Sedgwick differenziert in Epistemology of the Closet (1990) zwischen dem Begriff des Hauptkanons und des Minderheitenkanons der Literatur. Diese Unterscheidung scheint nützlich zu sein, wenn man den Hauptkanon des heteronormativen Films und des Minderheitenkanon des queeren Films analysiert. Es scheint außerdem hilfreich, um den heteronormativen Kanon neu zu definieren, indem man ihn von einem queeren Standpunkt aus betrachtet.“This canon must always be treated as a loaded one” wie Sedgwick schreibt.”


Cheryl Dunye

Cheryl Dunye führte Regie bei 15 preisgekrönten Filmen, in denen sie die Rasse, Klasse und das Geschlecht in dem Leben von queeren Women of Color untersucht. Sie ist eine Director Cheryl Dunye HeadshotEinheimische aus Liberia und absolvierte ihren Bachelor an der Temple University und ihren Master of Fine Arts an der Rutgers University´s Mason Gross Scholl of Arts. Ihre Spielfilmdebüt “The Watermelon Woman” von 1996, war der erste afroamerikanische lesbische Spielfilm. Er gewann den TEDDY Award auf der Berlinale, den Preis für den besten Spielfilm auf “Outfest” und dem Filmfestivals in Torino und Créteil. Seitdem werden Dunyes Filme auf dem “Sundance” und anderen renommierten Festivals uraufgeführt, wurden in das “Whitney Biennial” Museum aufgenommen, auf HBO gezeigt, und bescherten ihr eine Nominierung als beste Regisseurin für den “Independent Spirit Award”. In ihrem neuesten Kurzfilm “Black is Blue” (2014) untersucht Dunye Erfahrungen mit Transphobie von schwarzen trans-Männern. Für diesen Film gewann sie Preise auf fünf wichtigen Festivals. “Black is Blue” wird 2016 in einen Spielfilm verlängert. Cheryl wohnt in Oakland (Kalifornien) und ist eine Assistenz-Professorin im Filminstitut an der San Francisco State University.

„Als Regisseurin  untersuche ich die Überschneidung aus Rasse, Klasse und Sexualität, die man in Narration und Filmhistorien kodiert finden kann. Ich interessiere mich für Traditionen im afroamerikanischen Dokumentarfilm, dem experimentellen queeren Film, in feministischen Kunstpraktiken wie auch für autobiographische Ansätze der klassischen Avantgarde. Meine Arbeit enthält einen autoethnographischen Schwerpunkt, der auf einer Bildersprache aufbaut, die den Schnittpunkt von Wahrheit und Fiktion in meinem Leben untersucht. Indem ich die Kamera auf mich selbst halte, auf meine Gemeinschaft, meine emotionalen und sexuellen Beziehungen, entdecke ich einen therapeutischen Handlungsrahmen, der für mich als Fundament dient. Dieser Prozess basiert auf einer akademischen, gemeinschaftlichen und experimentellen Erkundung von Konzepten, die mich letzten Endes der Wahrheit der Geschichte, die ich erschaffe, näherbringen. Ich konzentriere mich auf die Erschaffung von „Kino“ – einem Korpus an Filmen – das der Dunyementary den Vorrang einräumt, einer fiktionalen Inszenierung von dokumentarischem Material, eine Art Nicht-Methode als Methode, ein Nicht-Narrativ als Narrativ. Für THE WATERMELON WOMAN erforschte ich zunächst frühe schwarze Filmgeschichte und besuchte afroamerikanische und lesbische Archive, um dann in Zusammenarbeit mit der Fotografin Zoe Leonard „gefälschte“ Archive für das „wahre“ Leben meiner Hauptcharaktere zu entwerfen, die später im Film benutzt wurden. Solche Verfahren wurden während meiner gesamten Karriere benutzt, um das konventionelle Hollywood-Verständnis von Rassen- und Sexualgeschichte aufzubrechen, wie auch als mögliche Strategie, um Rassismus, Sexismus und Homophobie in den medialen Künsten vom Sockel zu reißen.“


Dagmar Brunow

Dagmar Brunow ist eine der Programmer(innen) des “International Queer Film Festival” in Hamburg. Sie ist eine Filmwissenschaftlerin und unterrichtet Filmwissenschaften und Gender Studies in Schweden. Dagmar arbeitete für das “Frauenmusikzentrum (fmz)” und war eineBrunow HQFF der Initiatorinnen des “Ladyfest” in Hamburg. Sie wirkt regelmäßig an dem Magazin testcard. Beiträge zur Popgeschichte mit und ist ein langjähriges Mitglied des Radiokollektivs “Freies Sender Kombinat Hamburg”. Sie veröffentlichte einen Sammelband über Stuart Hall (Ventil Verlag 2015) und arbeitet aktuell als Mitherausgeberin an einer ersten deutschsprachigen Ausgabe über Queer Film Studies.

„Die Situation ist dringend. Analoge Filmbestände müssen umgehend vor dem Verfall gerettet werden, ansonsten wird riskiert, dass LGBTQ*-Erinnerungen in Vergessenheit geraten. Filmarchive und basisorganisierte LGBTQ*-Archive stehen großen Problemen gegenüber: Nicht nur Spielfilme müssen erhalten werden, sondern auch Generationen von Amateurfilmen sowie schnell zerfallendes Videomaterial. Wichtige Aufgaben heutiger Archive sind das Auswählen und Kuratieren, mit Nachwirkungen auf den globalen Vertrieb von LGBTQ*-Filme und seinem Platz in der transnationalen Geschichtsschreibung. Abgesehen von dem Kursieren des Materials auf globaler, nationaler, regionaler oder lokaler Ebene, muss mit neuen Methoden LGBTQ*-Erinnerungen aufrechtzuerhalten, experimentiert werden. Einige Filmarchive entwickeln aktuell innovative Methoden für Zugangsformen zu Archiven, beispielsweise durch den Eingriff der Künstler oder neue Arten der Ausstellung. Gleichzeitig muss archivalische Praxis neue Wege finden die Archivpolitik nationaler und anderer hegemonialen Filme zu queeren. Archive zu queeren, kann die Bandbreite der LGBTQ*-Identitätspolitik erweitern – die immernoch sehr wichtig ist – hin zu einer kritischen Sicht auf heteronormativen Archiven und ihren kuratorischen Entschiedungen. Repräsentationen von Rasse, Klasse, Geschlechtern oder Funtionalität sollte ebenfalls berücksichtigt werden. Im Großen und Ganzen kann queere Archivpolitik zu der verstärkten Mobiltät von Filmmaterial beitragen und neue Formen der Rückgewinnung, Neumischung oder Aneignung des LGBTQ*-Erbes erschließen.“


Martin Körber studierte Medien, Kunstgeschichte und Musikwissenschaft an der Freien Universität Berlin. In den 80ern verschaffte er sich skurrile Jobs_MG_0998 Kopie als Filmemacher, meist experimentelle und dokumentarische Projekte. Ab 1986 arbeitete er freiberuflich für die “Deutsche Kinemathek”, das “Niederländische Filmmuseum” und andere Filmarchive, gefolgt von einer dauerhaften Position in der “Deutschen Kinemathek” von 1998 bis 2003. Seit 1988 kuratiert Martin zahlreiche Rastaurationsprojekte von deutschen Filmklassikern wie “M”, “das Testament des Dr. Mabuse”, “Menschen am Sonntag”, “die Weiße Hölle vom Piz Palü” und “Metropolis”, um nur ein paar zu nennen. Während seiner Beschäftigung bei der “Deutschen Kinemathek” organisierte er Retrospektiven für die Berlinale von 1995 bis 2003. 2003 wurde er Professor für Restaurierung von audiovisuellem und fotografischem Kulturgut an der Hochschule für Technik und Wissenschaft Berlin. Seit 2007 ist Martin der Leiter des Filmarchivs der “Deutschen Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen”.

„Die “Deutsche Kinemathek” legt Wert darauf niemals eine Art des Filmemachens aus seinen Sammelnden Aktivitäten auszuschließen, oder besser gesagt: konzentriert sich auf Formen des Filmemachens, die von anderen vernachlässigt werden könnte. Seit den späten 80ern (spätestens) sammeln wir Independent Filme, einschließlich Dokumentationen und experimentelle Arbeiten, als auch unkonventionelle Spielfilme. Diese Politik erfasste natürlich auch queere Filme – beispielsweise sind wir sehr stolz darauf Lothar Lambert’s wie auch Rosa von Praunheim’s Gesamtwerk aufzubewahren, einschließlich der Papierarchive, die diese Produktionen ebenfalls betreffen. 2016 werden wir uns an einem Projekt beteiligen, bei denen die Filme von Maria Lang digitalisiert werden, die leider vor einiger Zeit verstorben ist. Wir werden uns ebenfalls mit der Arbeit von Elfi Mikesch beschäftigen. Wir sind im Gespräch mit Jochen Hick, wegen eines Archivprojekst das ausschließlich LGBT betrifft. Als ein Museum arbeiten wir seit Jahren eng mit dem “Schwulen Museum” zusammen , wie zahlreiche Ausstellungen belegen. Wir betrachten das Archivieren von LGBT-Filmen nicht anders als das von anderen Filmen und wir begrüßen die Möglichkeit die Chance zu haben, darüber zu sprechen. Die Erhaltung ist immer animiert von dem öffentlichen Interesse in Filme und anderen Materialien die wir aufbewahren.“