Die Berlinale ist jetzt in vollem Gange und wir vom TEDDY AWARD haben den glamourösen roten Teppich des CineStar genossen, wo gestern unser lieber Zsombor Interviews führte. Diese und all unsere weiteren Interviews mit Filmemachern und Stars und Sternchen des TEDDY AWARDs sind auf unserem YouTube-Kanal zu finden: https://www.youtube.com/channel/UCD1iOuMk-g6JvV76Rj_qBkw.
Unser heutiges Programm stellt eine Reise durch die lateinamerikanische queere Filmwelt dar. Startpunkt ist in Paraguay, wo das lesbische Drama von Marcelo Martinessi spielt, in dem eine ältere Dame ihre sexuelle Lust wiederentdeckt. Weiter geht es nach Brasilien, wo Evangelia Kranioti mit ihrem sphärischen Dokumentarfilm queeres und Trans-Leben inmitten des Karnevals von Rio de Janeiro abbildet. Der letzte Stopp unserer Reise ist Argentinien, wo wir in die komplexe Kunst des Malambo-Tanzens eingeführt werden.
Las herederas (The Heiresses)
Director: Marcelo Martinessi
Paraguay/Uruguay/Germany/Brazil/Norway/France, 2018, 95′, Spanish
Screening: 15.30, Berlinale Palast
Chela und Chiquita sind schon lange ein Paar. Mit den Jahren haben sie sich in einer festen Rollenverteilung eingerichtet. Die extrovertierte
Chiquita regelt das gemeinsame Leben. Chela hingegen verlässt eher ungern das Haus, lieber verbringt sie den Tag hinter ihrer Staffelei. Finanzielle Schwierigkeiten zwingen sie dazu, Teile ihres geerbten und geliebten Mobiliars – allesamt Erinnerungsstücke – zu verkaufen. Als Chiquita
wegen Überschuldung ins Gefängnis kommt, ist Chela plötzlich auf sich allein gestellt. Mit ihrem alten Daimler bietet sie einen Taxi-Service für wohlhabende ältere Damen aus der Nachbarschaft an. Beim Chauffieren lernt sie auch eine von deren Töchtern kennen, die junge, lebensfrohe Angy. Diese Begegnung lockt die eher passiv auftretende Chela aus der Reserve und lässt sie ihre eigenen Sehnsüchte neu entdecken. So zurückhaltend und vorsichtig wie seine Heldin erkundet der Film die Außenwelt und richtet den Blick zunehmend auf eine Gesellschaftsschicht, die seltsam abgeschottet von der Wirklichkeit in den Tag hineinlebt. Wenn Chela ihre Freundin im Gefängnis besucht, entfaltet sich dagegen ein ganz anderes Bild von den Verhältnissen in Paraguay.
Obscuro Barroco
Director: Evangelia Kranioti
France/Greece, 2018, 60′, Portuguese
Screening: 19.30, CineStar IMAX
Langsam und elegisch gleitet die Kamera erst über einen in dichten Nebel gehüllten Wald, dann über das Panorama von Rio de Janeiro. Rio sei eine Fabrik der Träume und Alpträume, sagt eine Stimme aus dem Off, eine Stadt der Transformationen. In ihrem essayistischen Film Obscuro Barroco folgt die griechische Regisseurin Evangelia Kranioti den poetischen Worten ihrer transidenten Erzähler*in Luana Muniz, Ikone der queeren Subkultur Brasiliens. In einem schlafwandlerischen Fluss von Kamerabildern begibt sie sich in die pulsierende Welt der Nachtgestalten. Ein Bewusstseinsstrom aus dem Underground Brasiliens fließt mitten hinein in den Straßenkarneval der Stadt. Zwischen Masken und Make-up, jungen, nackten und neuen Körpern und dem Spektakel des Feuerwerks kommen Menschen zum Vorschein, deren Transformationen kein klares Geschlecht mehr kennen. Ein weißer Clown führt uns durch den Film, in dessen Bildwelten unvermittelt auch Proteste gegen die Regierung ihr ungeschminktes Gesicht zeigen. In geschlossenen Räumen fallen die Hüllen, die „Transvestiten“ werden besungen und feiern sich selbst, bis der Traum in eine tänzerische Ekstase mündet.
Malambo, el hombre bueno (Malambo, the Good Man)
Director: Santiago Loza
Argentina, 2017, 71′, Spanish
Screening: 20.00, CinemaxX 7
Würdevoll und stark sieht er aus, unangreifbar und voll erotischer Anziehungskraft: Der junge Malambo-Tänzer Gaspar ist eins mit seiner Leidenschaft, der Tanz ist sein Beruf. Doch Regisseur Santiago Loza lehrt uns bereits zu Anfang seines Films, dass der argentinische Wettbewerbstanz Malambo auch ein kompromissloser Kampf gegen die Zeit ist. Man verschreibt ihm sein Leben. Gewinnt man den großen Zweikampf, ist man danach dazu verdammt, als Trainer den Nachwuchs zu unterrichten oder zur Abendunterhaltung auf Kreuzfahrtschiffen zu tanzen. Ein Weiterleben im Wettbewerb gibt es nicht. In kontrastreichen, magischen Schwarz-Weiß-Bildern entführt uns Loza in die Welt des argentinischen Gauchotanzes. Als Fiktion angekündigt, kommt sein Film wie eine Mischung aus Dokumentarfilm und Märchen, Biografie und Essay daher und stellt dabei die Schönheit des Kampfes der harten Alltagsrealität seines Tänzers gegenüber. Gaspars Hingabe fordert erste körperliche Opfer. Etwas anderes als Malambo scheint es nicht mehr zu geben. In raren Begegnungen mit dem Leben abseits des Tanzes trifft Gaspar Familienmitglieder, Kontrahenten oder seinen Mitbewohner in der Hitze seiner kleinen Wohnung.