Hummingbirds
Regie: Silvia Del Carmen Castaños, Estefanía „Beba“ Contreras
USA, 2023, 77 Min.
TEDDY nominated
21.02. / 20:00 Urania
22.02. / 15:30 Cineplex Titania
23.02. / 18:30 Filmtheater am Friedrichshai
24.02. / 12:45 Cubix 8
25.02. / 15:30 Zoo Palast 1
„Ich möchte mich an dieses Mal erinnern, an letztes und an nächstes Mal. Ich will mich an alles erinnern, ohne Lücken, denn ich schätze auch die schlechten Zeiten.“ Laredo im Süden von Texas, nahe der mexikanischen Grenze: Die Freund*innen Silvia und Beba wissen, dass die langen Sommernächte ihrer Teenagerjahre nicht ewig andauern. Die Orte, an denen sie abhängen, sind ihnen längst vertraut, aber das Einwanderungsverfahren stockt, und immer droht die Abschiebung. Heimat ist im politisch gespaltenen Amerika kein verlässlicher Begriff. Zwischen Bars, Drive-ins, Sofas von Freund*innen und dem öden Grenzland kämpfen sie gegen die Zumutungen des Alltags, für ihre Community und die Zukunft. Für sie bedeutet das auch: demonstrieren für das Recht auf Abtreibung und gegen Gewalt durch den Grenzschutz. Aber die staubige Dämmerung bietet auch Raum für Poesie und Träume; in ihrem Humor und ihrer Kreativität zeigen sich die Bande von Zugehörigkeit und Solidarität.
I Heard It through the Grapevine
Regie: Dick Fontaine
USA, 1982, 91 Min.
19.02. / 17:30 Kino Arsenal 1
22.02. / 15:00 Delphi Filmpalast
Zwei Jahrzehnte nach der Bürgerrechtsbewegung begibt sich James Baldwin noch einmal an die historischen Schauplätze – von Selma und Birmingham (Alabama) bis Atlanta (Georgia), zu den Stränden von St. Augustine (Florida) und zum Martin-Luther-King-Memorial in Washington, D. C. Auf dieser Reise der Erinnerung spricht er mit Freund*innen, Aktivist*innen und Schriftsteller-Kolleg*innen wie Amiri Baraka, Oretha Castle Haley und Chinua Achebe über die Ereignisse, die den Kampf gegen die Rassentrennung in Gang gesetzt haben, wie etwa die Angriffe auf Kirchen, die rassistische Polizei-Brutalität, Willkür und Unrecht, die die Schwarze Bevölkerung ertragen musste. Recht skeptisch blicken diese Lichtgestalten auf ihre Gegenwart und die wenigen Errungenschaften, die von damals geblieben sind; auch wir als Zuschauer*innen bekommen Gelegenheit, über unsere Ära nachzudenken. Dick Fontaine mischt geschickt Archivmaterial zwischen die Berichte. So wird der Film zu einem schmerzhaften historischen Dokument, das sich im Kontext der Black-Lives-Matter-Bewegung als heute noch relevant erweist.
Joan Baez I Am A Noise
Regie: Karen O’Connor, Miri Navasky, Maeve O’Boyle
USA, 2023, 113 Min.
17.02. / 16:00 International
18.02. / 15:30 Cubix 9
19.02. / 14:00 Thalia – Das Programmkino (Potsdam)
22.02. / 19:00 Haus der Berliner Festspiele
23.02. / 09:30 Cubix 9
24.02. / 12:45 Verti Music Hall
Als Musikerin, Bürgerrechtlerin und Aktivistin stand Joan Baez seit ihrem Debüt im Alter von 18 über 60 Jahre auf der Bühne. Für die inzwischen 82-Jährige war das Persönliche immer schon politisch, die Freundschaft zu Martin Luther King und der Pazifismus prägten ihr Engagement. Ausgehend von ihrer Abschiedstour zieht Baez in dieser Biografie eine schonungslose Bilanz, in der sie sich auch schmerzhaften Erinnerungen stellt. Sie teilt nicht nur ihre Erfolge, sondern spricht offen über langjährige psychische Probleme und Therapien, über Familie, Drogen, das Altern und Fragen von Schuld und Vergebung. Und sie stellt auch klar, dass sie während ihrer Beziehung mit dem sehr jungen Bob Dylan ihre Prominenz nutzte, um seine Karriere in Gang zu bringen. Ihre Enttäuschung über die spätere Entfremdung von Dylan wird greifbar. Aufgrund einer langjährigen Freundschaft zu einer der Regisseurinnen, Karen O’Connor, gewährte Baez dem Regietrio auch Zugang zu den „inneren Dämonen“, die sie seit ihrer Jugend begleiten. Der Film verwebt Tagebuchtexte, eine Fülle von teils ungezeigtem Archivmaterial und ausführliche Gespräche mit Baez mit Backstage-Momenten der Tour. Ein intimes Porträt, das nicht nur für Fans interessant ist.
Kokomo City
Regie: D. Smith
USA, 2023, 73 Min.
TEDDY nominated
21.02. / 19:00 Zoo Palast 2
22.02. / 13:00 International
23.02. / 10:00 Cubix 7
24.02. / 15:30 Cubix 9
26.02. / 19:00 Cubix 5
Morgenroutinen und Gespräche im Bett, Gossip und Real Talk. In Begegnungen und Interviews porträtiert D. Smith vier Schwarze trans* Sexarbeiterinnen in New York und Georgia. Ungeschönt und lustvoll erzählen die Protagonistinnen aus ihrem Leben. Dabei entstehen tiefgehende und leidenschaftliche Gespräche über gesellschaftspolitische und soziale Realitäten sowie scharfe Analysen und Reflexionen über Zugehörigkeit und Identität innerhalb der Schwarzen Community und darüber hinaus. In eindringlichen Schwarz-Weiß-Bildern und mit einem gezielt eingesetzten Soundtrack fügen sich Inszenierungen und Re-Inszenierungen, performative Interventionen und assoziative Collagen biografischer Versatzstücke organisch zusammen. Offen werden Träume und Erinnerungen, ausgefochtene Kämpfe und überwundene Krisen thematisiert, ohne Prekaritäten und Gewalterfahrungen auszusparen. Die Protagonistinnen teilen ihre Erfahrungen in Beziehungen zu Lovern, Freund*innen und Familien, die durch Tabus, Fetischisierung, aber auch durch das eigene Begehren geprägt sind. Das lebendige Porträt gibt ihren widerständigen Erzählungen ungefiltert Raum und hebelt weiße, cis-heteronormative Setzungen und Stigmatisierungen aus.
Llamadas desde Moscú (Calls from Moscow)
Regie: Luís Alejandro Yero
Cuba, Deutschland, Norwegen, 2023, 65 Min.
TEDDY nominated
22.02. / 19:00 Cubix 7
23.02. / 17:00 Werkstattkino@silent green
24.02. / 21:30 Zoo Palast 2
26.02. / 14:00 Kino Arsenal 1
Die Wohnung ist so hoch gelegen, dass der Lärm der Stadt kaum durchdringt: Das Rauschen des Verkehrs und der vorbeifahrenden Züge mischt sich mit dem Wind und der Lüftungsanlage, ein Dauer dröhnen im Hintergrund. Es zieht sich nur zurück, wenn die vier kubanischen Queers sprechen. Sie sind nie zusammen zu sehen, sprechen nur in ihre Telefone, und die Telefone antworten – Unterhaltungen mit Angehörigen, Verkaufsgespräche, Beratungen für Einwanderer, Geplauder mit dem Regisseur, Nachrichten, lippensynchron nachgesungene Popsongs, nicht immer angenommene Anrufe. In der Wohnung geben sie sich oft extravagant. Doch schon der Aufzug, der sie zu den Straßen Moskaus bringt, ist ein anderer Raum. Dort starrt man vor sich hin und vermeidet es, Aufmerksamkeit zu erregen. Russland und Kuba trennt so viel. Es ist schwer, keine Wehmut zu empfinden in einer menschenleeren, zugeschneiten Stadt. Und dieser Winter bedeutet nicht nur Dunkelheit, sondern auch Krieg und Krankheit, Zeichen der Zeit. Aber die Hoffnung wartet ruhig und geduldig am anderen Ende der Leitung. Heimat ist vieles auf einmal. Was sonst könnte sie jetzt noch sein? Ein kleiner Trost. Doch kein Trost ist zu gering: alles nach und nach.
Love to Love You, Donna Summer
Regie: Brooklyn Sudano, Roger Ross Williams
USA, 2023, 105 Min.
21.02. / 15:00 Haus der Berliner Festspiele
22.02. / 18:30 Verti Music Hall
24.02. / 22:00 International
Die ungewöhnliche Geschichte von Disco-Queen Donna Summer, mitreißend erzählt entlang von unveröffentlichten Dokumenten: Filmausschnitten, Home-Videos, Fotos, Aufzeichnungen und privaten Audioaufnahmen aus allen Lebensphasen der legendären Künstlerin, die wie keine Zweite die Tanzfläche zum Beben brachte. Von den Anfängen in Deutschland mit Giorgio Moroder bis in spätere Jahre, als Summer vor den Schattenseiten ihrer Bekanntheit und durch seelische Verletzungen belastet Schutz in der Spiritualität und im Familienleben suchte. Der oscarprämierte Regisseur Roger Ross Williams und Summers Tochter Brooklyn Sudano heben dank Sudanos Einblick und Zugang zur Familie einen reichen Schatz an Erinnerungen und Lebenszeugnissen. Aber auch die filmische Herangehensweise des Duos ist beeindruckend. Die Worte der Wegbegleiter*innen werden so geschickt mit der Bilderfülle kombiniert, dass wir Donna Summer als Allround-Künstlerin entdecken oder wiederentdecken: als maßgeblichen kreativen Kopf hinter ihren Hits, als sprachgewandte, witzige Entertainerin, begabte Malerin – und emanzipierte, erfinderische Frau, die unter anderem sich selbst erfand.
No Stranger at All
Regie: Priya Sen
Indien, 2022, 40 Min.
20.02. / 13:30 Kino Arsenal 1
22.02. / 20:00 Werkstattkino@silent green
„Dieser Film hat sich seit 2020 über zwei Jahre hinweg entwickelt. Er entstand in Fragmenten und Intensitäten, entlang von Unruhe und Vorahnung, durch Umherstreifen und die Verweigerung zu verweilen. Der Film hat versucht, eine Sprache für und Wege durch die bizarren Verwerfungen sozialer und politischer Werte zu finden, die das Aufkommen des Faschismus in Indien und eine globale Pandemie hervorbrachten. Er hat darauf bestanden, zu den Dingen zu gehören, die sich dem Zerfall widersetzen. Die in Delhi gedrehten, unvollendeten Fiktionen erzählen von den Menschen, Orten und Protesten, die sich gegen die Sprache des Hasses stellen und sowohl die Trauer als auch die Euphorie der Stadt in sich aufnehmen. In ihnen finden sich die fortwährenden Echos einer gewaltvollen und prekären Gegenwart. Die falschen Abschlüsse und fragilen Zusammenhänge in diesem Video ergeben einen Zeitstrahl der Stadt, der sich mit der Zeit des Videos überschneidet. Eine schemenhafte Ahnung eines Protagonisten wird spürbar, der das alles ‚verträumt‘: Ein Fremder, der – wie sich herausstellt – überhaupt kein Fremder ist.“ Priya Sen
Notre corps (Our Body)
Regie: Claire Simon
Frankreich, 2023, 168 Min.
17.02. / 19:00 Delphi Filmpalast
18.02. / 14:00 Werkstattkino@silent green
24.02. / 17:00 Cubix 7
Eine Teenagerin sitzt im Sprechzimmer, die Kamera filmt sie von hinten, sodass sie anonym bleibt. Der Ärztin erzählt sie, wie sie schwanger wurde: Ihr Freund habe versichert, er passe auf. Nun hat sie eine schwierige Entscheidung zu treffen. Wie sehr sie damit hadert, ist in jedem ihrer Sätze spürbar. Und vom Freund keine Spur. Diese Szene ist eine der ersten in Claire Simons beeindruckendem Dokumentarfilm Notre corps. Mit behutsamem Blick schaut sich die französische Regisseurin in einer gynäkologischen Klinik in Paris um; sie trägt Szenen von Geburten und Krebsdiagnosen, von Beratungsgesprächen zu Endometriose und zur Hormontherapie für eine ältere trans Frau zusammen. Was dabei entsteht, ist ein zunächst beobachtender, später immer persönlicherer Film über das, was es bedeutet, in einem weiblichen Körper zu leben, und zugleich ein wunderbares Beispiel für die Stärke dokumentarischen Kinos. Notre corps bündelt Erfahrungen, von denen man glaubt, man sei damit alleine; er macht Strukturen sichtbar, wo man Nöte für individuell hält; er legt dar, wie sehr Dinge, über die man sich nicht zu sprechen traut, eine gesellschaftliche Dimension haben und diskutiert werden müssen.
Orlando, ma biographie politique (Orlando, My Political Biography)
Regie: Paul B. Preciado
Frankreich, 2023, 98 Min.
TEDDY nominated
18.02. / 13:00 Akademie der Künste
19.02. / 10:30 International
19.02. / 13:30 Zoo Palast 3
19.02. / 13:30 Zoo Palast 4
19.02. / 13:30 Zoo Palast 5
19.02. / 22:00 Cubix 5
Virginia Woolfs „Orlando“ erzählt die Geschichte eines jungen Mannes, der am Ende eine 36-jährige Frau ist. Fast ein Jahrhundert nach Erscheinen des Romans richtet Paul B. Preciado das Wort an Virginia Woolf, um ihr zu sagen: Ihre Romanfigur ist Wirklichkeit geworden. Alle nicht-binären Körper beziehen sich auf die Transition von Orlandos Körper. Überall auf der Welt gibt es Orlandos. Durch die authentischen Stimmen anderer junger Körper, die eine Metamorphose durchlaufen, zeichnet Preciado Schritt für Schritt seine persönliche Transformation nach. Eine poetische Reise, bei der, auf der Suche nach Wahrheit, Leben, Schreiben, Theorie und Metapher frei ineinander übergehen. Jeder Orlando, so Preciado, ist eine trans* Person, die sich täglich mit Gesetzen, Geschichte, Psychiatrie,traditionellen Familienvorstellungen und der Macht der Pharmakonzerne auseinandersetzt und ihr Leben riskiert. Wenn Männlich und Weiblich nur politische und gesellschaftliche Fiktion sind, so zeigt Orlando, ma biographie politique, dass es beim Thema Veränderung nicht mehr nur um das Geschlecht geht, sondern auch um Poesie, Liebe und Hautfarbe.
This Is the End
Regie: Vincent Dieutre
Frankreich, 2023, 108 Min.
TEDDY nominated
19.02. / 18:00 Delphi Filmpalast
21.02. / 16:00 Cubix 7
24.02. / 11:00 Kino Arsenal 1
26.02. / 10:00 Zoo Palast 2
Während der Pandemie reist der europäische Filmemacher ins Spektakel- und Desaster-affine Los Angeles. Unter dem Hollywood Signi st die permanente Bewegung vorgeschrieben: niemals anhalten, nicht genau hinschauen, kein Gefühl des Hierseins entwickeln. In langen Kamerafahrten aus dem sicheren Ford Mustang heraus gleitet der Blick durch die Stadt, deren schimmernde Oberflächen ihm seine kulturkritisch geprägte Perspektive zurückspiegeln. Die von Baudrillard und Bégout diagnostizierte Leere, die fehlenden Zusammenhänge, die Bedeutungslosigkeit, das vielleicht schon zurückliegende Ende der Welt sehen durch die müden Augen der Alten Welt überraschend aufregend aus: Eine 40 Jahre alte Liebe flammt wieder auf, die Bewegungen der Liebe fallen aus dem coolen Fluss der Zeit, Kojoten erobern die Gärten, Schlangen schwimmen im Pool. Ein Chor von Schauspieler*innen teilt Weltuntergangsgedichte von E. E. Cummings bis Ocean Vuong und Claudia Rankine miteinander, die Stimmen aus der Neuen Welt unterbrechen den französischen Kommentar. Und zwei über 70-jährige Körper aus zwei untergegangenen Welten synchronisieren sich zärtlich mit dem Kino der Attraktionen.
Transfariana
Regie: Joris Lachaise
Frankreich, Kolumbien, 2023, 153 Min.
TEDDY nominated
19.02. / 15:00 Cubix 9
20.02. / 18:00 Cineplex Titania
21.02. / 21:15 Akademie der Künste
22.02. / 21:30 Cubix 2
23.02. / 15:30 Cubix 5
26.02. / 10:00 Cubix 7
In einem kolumbianischen Gefängnis verlieben sich 2012 der linksintellektuelle FARC-Rebell Jaison und die bis dahin unpolitische ehemalige trans* Sexarbeiterin Laura. Die Verbindung sorgt innerhalb der FARC zunächst für Misstrauen, das der charismatische Jaison jedoch mit dem Aufruf zum gemeinsamen Klassenkampf auflösen kann. Er beschwört eine Solidarität, die aus der gemeinsamen Diskriminierungserfahrung schöpft. So bringt die Utopie einer gerechteren Welt trans* Aktivist*innen und entwaffnete FARC-Kämpfer*innen Seite an Seite, auf Demos in Bogotás Rotlichtviertel und in den FARC-Camps in den Bergen. Die TransFARC beginnt gemeinsam für eine Gesellschaft zu kämpfen, in der Transrechte Teil des Friedensvertrags sind und in der für die trans*Sexarbeiter*innen Daniela und Max eine gemeinsame Elternschaft möglich ist. Die FARC ist in den letzten Jahren vielfach dokumentarisch dargestellt worden, dennoch gelingt es Regisseur Joris Lachaise, einen neuen Aspekt umfassend zu beleuchten. Organisch verwebt er verschiedene Zeitebenen und selbst gedrehtes Material der Protagonist*innen aus diversen Gefängnissen. Der Titel des Films, Transfariana, verweist auf die weiblichen FARC-Mitglieder, die „Farianas“.