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Erweiterung des ,,Me” im ,,Me Too”

Wo sind die Stimmen der LGBT+-Opfer?

Die steigende Zahl der Menschen, die die Stimme gegen sexuellen Missbrauch in der Film- und Entertainmentbranche erheben, verdeutlicht einen dramatischen Wandel in der kulturellen Haltung gegenüber sexueller Gewalt. Endlich werden Beschuldigungen von sexuellen Übergriffen mit der Strenge behandelt, die schon vor Jahrzehnten die Norm hätte sein sollen. Wiederholungstäter wie Harvey Weinstein und James Toback wurden von ihrem Thron des Missbrauchs gestürzt und so könnten wir die Arbeit als geschafft betrachten. Aber in Wirklichkeit birgt jeder Ausspruch gegen sexuellen Missbrauch eine weitere Stimme, die durch den Druck von Stigma, Furcht und Scham zum Schweigen gebracht wird.

Unter diesen vielen stummen Opfern sind Angehörige der Queer-Community, die oft am meisten unter der Last der sozialen Stigmatisierung leiden. Größtenteils sind es cis-het Frauen, die sich stark genug fühlen an die Öffentlichkeit zu gehen, neben einigen cis-het Männern (Terry Crews, James Van Der Beck). Anthony Rapp, Opfer von Kevin Spaceys ungewollter sexueller Annäherung im empfindlichen Alter von 14 Jahren, gehört zu einem auffällig kleinen Chor aus queeren und Trans-Stimmen, die selbstsicher genug sind, um ähnliche Erfahrungen wie ihre Cis-Mitmenschen auszusprechen. Statistisch gesehen sind Trans-Menschen einem größeren Risiko von sexueller Gewalt ausgesetzt als Cis-Frauen, bisexuelle Männer und Frauen erfahren sexuelle Übergriffe regelmäßiger als ihre heterosexuellen Zeitgenossen, Lesben erleben fast 10% eher eine Vergewaltigung als heterosexuelle Frauen und schwule Männer werden doppelt so oft Opfer von sexueller Gewalt wie heterosexuelle Männer. Es wäre gerechtfertigt anzunehmen, dass diese Statistiken auch in Form sexueller Verbrechen in der Film- und Entertainmentbranche widergespiegelt werden. Warum fühlen sich also so wenige der LGBTQ-Community ermächtigt, sich neben ihren cis-het Kollegen zu äußern?

Andria Wilson, Geschäftsführerin des Toronto und Ottawa Inside Out Film Festivals, erklärt dies folgendermaßen: ,,Als LGBTQ-Menschen stehen uns mehr Hindernisse und Bürden im Weg… In vielerlei Hinsicht bedeutet dies, dass diese Art von Straftaten öfter passiert und seltener gemeldet wird.” Eines dieser Hindernisse ist der doppelte Druck, unter dem queere und Trans-Menschen hinsichtlich ihres Coming-Outs leiden, sowohl über ihre Sexualität als auch über ihre Erfahrungen mit sexueller Gewalt. Zum Missbrauch selbst kommt zudem die Schwierigkeit, das Durchlebte in Worte zu fassen – und kann dadurch zu einer Zusammenfassung der beiden Erfahrungen als ein einziges traumatisches Erlebnis führen, sozusagen als eine Art Umkehreffekt von Spaceys doppeltem „Geständnis“. Zudem kommt in einigen Gesellschaften die Auffassung mit ins Spiel, dass Homosexualität und Transgenderismus sexuelle Abweichungen seien. Laut Trans-Aktivistin Ashlee Marie Preston sind weiße Cis-Ankläger ,,durch Respektabilitätspolitik ein bisschen mehr geschützt als farbige Trans-Frauen”.

Noch subtiler ist die Art, in der das Vokabular, das zur Beschreibung sexueller Gewalt verwendet wird, Angehörige der Queer- und Trans-Community ausschließt. Normalerweise werden sexuelle Übergriffe im Rahmen männlicher Übergriffe gegenüber Frauen verstanden, während ‘Vergewaltigung’ ausdrücklich sexuelle Penetration bezeichnet. Derartiger Sprachgebrauch ist lückenhaft, wenn es darum geht, Fälle von Gewalt von Frauen gegenüber Frauen auszudrücken. Wenn man in Betracht zieht, dass Deutschland erst 2016 die Gesetzeslage zu Vergewaltigung änderte, sodass Opfer der Vergewaltigung nicht länger Nachweis der Selbstverteidigung erbringen müssen, ist ein fehlendes Vertrauen in die rechtliche und gesellschaftliche Struktur, die angeblich die Überlebenden unterstützt, nicht überraschend.

Die Lücken in diesem Unterstützungsnetzwerk reichen auch in die Welt der sozialen Medien: Während es höchst ermutigend ist, so viele Frauen zu sehen, die sich zur Teilnahme an der ,,Me Too”-Kampagne ermächtigt fühlen, ist es auch essentiell, die Beschränktheit des Vokabulars zu erkennen, mit dem der Hashtag verbunden wird. Die Anweisung für ,,Frauen, die sexuell belästigt oder tätlich angegriffen wurden”, einen ,,Me Too”-Status zu verfassen, schließt die Möglichkeit aus, dass sexuelle Übergriffe etwas komplexer als sexuelle Aggressionen von Männern gegenüber Frauen sein können. Wie aus den oben genannten Statistiken hervorgeht, sind queere und Trans-Menschen einem erhöhten Risiko sexueller Gewalt ausgesetzt, und es ist daher unerlässlich, dass wir über die rechtlichen, sprachlichen und gesellschaftlichen Mittel verfügen, dieses Risiko wiederzugeben. Ohne diesen Rahmen scheint jegliche Beanspruchung eines definitiven Fortschritts borniert durch eine heteronormative Vorstellung von sexueller Gewalt und wer das Recht auf das ,,Me” in ,,Me Too” hat.

Übersetzung:Naomi Scherer

Quellen:

https://sapac.umich.edu/files/sapac/SV%20Against%20Trans%20People_1_0.pdf

http://www.transequality.org/sites/default/files/docs/usts/USTS%20Full%20Report%20-%20FINAL%201.6.17.pdf

http://www.cbc.ca/news/entertainment/spacey-lgbt-react-power-vulnerable-1.4381878

https://www.vice.com/en_us/article/qv34wb/we-bring-it-on-ourselves-the-myths-silencing-lgbtq-sexual-assault-victims

http://www.bbc.com/news/world-europe-36726095