Von Hannah Congdon
Das letzte Jahrzehnt, und insbesondere die letzten Jahre, haben den beispiellosen Ausbruch queerer Filme in den kommerziellen Mainstream erlebt. Werke wie Brokeback Mountain, Blue is the Warmest Colour, Moonlight und Carol sind heute bekannte Namen. Und es ist fast schon selbstverständlich, dass jedes Jahr mehrere Anwärter auf den TEDDY AWARD von großen Filmverleihern erworben werden, wie der Erfolg von Call Me By Your Name, God’s Own Country und A Fantastic Woman zeigt. Was auch immer ihr über die jeweiligen Vor- und Nachteile dieser Filme denken mögt, der wachsende Appetit auf LGBTQ+-Filme bei Verleihern und Publikum ist unbestreitbar ein Schritt in die richtige Richtung.
Aber es zeichnet sich ein weiteres Muster ab, das das Potenzial dieser Kinoerfolge einschränkt (abgesehen davon, dass die Mehrheit dieser Filme ausschließlich weiß besetzt sind und Transmenschen mehr als dürftig repräsentiert werden – Themen, die eigene Diskussionen erfordern): Die kommerzielle Vorlage für eine Reihe der Filme ist es, sie als monosexuelle, homosexuelle Liebesgeschichten zu vermarkten. Infolgedessen gibt es eine scheinbare Unsichtbarkeit von bi-, pan- und polysexuellen Liebesgeschichten, die die binäre Einteilung in hetero-/homosexuell stören könnten. Wo das New Queer Cinema der 90er Jahre Queering-Methoden und Narrative einsetzte, die Vorstellungen von Gendereinteilung und sexueller Klassifizierung aufsprengten und sowohl LGBT-Identitäten wie auch die Räume zwischen diesen Buchstaben erkundeten, scheint es der aktuelle Trend zu sein, romantische queere Narrative als monosexuelle Liebesgeschichten zu lesen. In einigen Fällen trifft diese Lesart zu, aber in vielen Fällen vereinfacht sie das Spektrum der dargestellten Beziehungen und Sexualitäten zu sehr. Wenn der queere Film es jetzt in den Mainstream schafft, ist es an der Zeit, dass Kritiker und Publikum lernen, ihre Monokel wegzuwerfen und diese Filme mit der Pluralität zu sehen, aus der sie gemacht sind.
Filmkritiker spielen eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung populärer Vorstellungen und Lesarten von öffentlich zugänglichen Filmen. Während Label innerhalb der LGBTQ+-Bewegung eine wichtige und ermächtigende Rolle spielen, ist es frustrierend, dass so viele Kritiker hartnäckig darauf bestehen, Filme nur als „schwul“ und „lesbisch“ zu benennen, ohne den Rest des Spektrums in queeren Erzählungen zu untersuchen. Bleiben wir vorerst bei unseren einschlägigen Beispielen: In Brokeback Mountain, Blue Is the Warmest Colour, Carol und Call Me By Your Name haben die Hauptfiguren nicht nur gleichgeschlechtliche romantische und sexuelle Beziehungen, sondern auch heterosexuelle Beziehungen. In jedem Fall sind die heterosexuellen Beziehungen aus verschiedenen Gründen unbefriedigend geworden und haben im Vergleich zu ihren neu gefundenen Liebesinteressen an Bedeutung verloren. Dennoch werden diese Beziehungen oft als echt, liebevoll und sexuell dargestellt, sind zentrale Aspekte der emotionalen Entwicklung der Charaktere, und es wird selten deutlich gemacht, dass sie zusammengebrochen sind, nur weil der vorherige Partner der Charaktere die „falsche“ Genderidentität hatte. Kritiker und Publikum gleichermaßen erkennen oft nicht die Möglichkeit, dass Individuen von Menschen und nicht von Geschlechtern angezogen werden können, und in einer Reihe von Rezensionen für diese Filme werden die heterosexuellen Beziehungen höchstens am Rande erwähnt.
Call Me By Your Name ist vielleicht das beste Beispiel dafür. Als „wunderschöne schwule Liebesgeschichte“ gefeiert, enthüllen der Film und sein Ausgangsmaterial eine weitaus komplexere Geschichte des sexuellen Erwachens, als sie normalerweise erzählt wird. Die unterschiedlichen Beziehungen, die Elio zu Marzia und Oliver hat, haben wohl mehr damit zu tun, dass letzterer weitaus reifer ist als erstere, als dass sie sich auf ihre Geschlechter beziehen. Der Originaltext ist noch deutlicher im Hinblick auf Elios sexuelle Fluidität:
“How strange, I thought, how each shadowed and screened the other, without precluding the other. Barely half an hour ago I was asking Oliver to fuck me and now here I was about to make love to Marzia, and yet neither had anything to do with the other except through Elio, who happened to be one and the same person.”
Dass nur so wenige Kommentatoren auf die Bedeutung von Elios verschiedenen sexuellen Beziehungen hingewiesen haben, ist eine leidige Erinnerung an die anhaltende Vernachlässigung von Bi- und Pan-Sexualität innerhalb der Filmkritik wie auch innerhalb der Gesellschaft. Es sollte im aktuellen Kontext der Geschlechterpolitik unnötig sein, sich so sehr auf Kategorien und Labels der Sexualität zu konzentrieren, aber die Tatsache, dass die offen bisexuelle Regisseurin Desiree Arkhavan (The Miseducation of Cameron Post) den etwas ungeschminkten Titel The Bisexual für ihre jüngste Channel-4-Serie gewählt hat, zeigt, wie oft der Schwellenraum zwischen homo- und heterosexuell übersehen wird, und stellt ebenso die anhaltende Zurückhaltung in der Filmindustrie und anderswo aus, die Begriffe bi- und pan-sexuell zu verwenden.
Interessant ist auch, dass die Kritik an offensichtlich bisexuelle Filme und Serien darin besteht, dass ihnen eine saubere Struktur fehle. The Bisexual wurde als „inkonsistent“ diffamiert, während Arkhavans Film Appropriate Behaviour von 2015, in dem es um eine amerikanisch-iranische bisexuelle Frau geht, die eine Trennung durchmacht, als „zeitlich desorientiert“ und voller „Gerümpel“ bezeichnet wurde. Tom Shkolniks The Comedian aus Israel erzählt mit drastisch langen Improvisationen die Geschichte eines Stand-Up-Comedians, der zwischen einer romantischen, aber weitgehend asexuellen Beziehung zu seiner Mitbewohnerin und seiner Affäre mit einem offen schwulen Maler hin- und hergerissen ist. Obwohl der Film seit seiner Veröffentlichung im Jahr 2012 immer mehr positive Resonanz findet, urteilten die frühen Kritiker, dass es ihm an „Gestaltung“ und „Form“ mangele und bezeichneten ihn als „unverbindlich“. Christophe Honores französischsprachiges Musical Les Chansons D’Amour, das über den Gesang die vierseitigen Liebesaffären zwischen seinen sexuell fluiden Hauptfiguren erzählte, wurde hingegen wegen seiner „Zufälligkeit“ und mangelnder „Kohärenz“ gemieden.
Was den Kritikern zu entgehen scheint, ist, dass alle drei Filmemacher Erzähltechniken verwenden, die der Standardstruktur widerstehen, die typischerweise für monosexuelle Liebesfilme verwendet wird, gerade weil diese strukturelle Unordnung viel besser geeignet ist, die Nichtlinearität von polysexuellen Beziehungen einzufangen. Maria Pramaggiore fasst dieses Phänomen in ihrem Essay „Representing Bisexualities“ prägnant zusammen. Sie verweist auf die „obligatorische Monosexualität“ vieler Hollywood-Filme und argumentiert, dass „konventionelle romantische Narrative mit Paaren, ob es sich nun um schwule, lesbische oder heterosexuelle Szenarien handelt, es schwierig machen, Bisexualität anders als eine Entwicklungsphase vor der „reifen“ monogamen Monosexualität zu erkennen oder sich vorzustellen“. Darauf weist weiter darauf hin, dass
“chronological narrative structures that assign more weight and import to the conclusion…may be less compatible with bisexual reading strategies, which focus on the episodic quality of a nonteleological temporal continuum across which a number of sexual acts, desire and identities might be expressed”.
Anstatt die verworrene Erzählweise der oben genannten Filme zu kritisieren, sollten wir die Filmemacher dafür loben, dass sie geeignete Methoden gefunden haben, um das zu vermitteln, was von Natur aus verworrene Narrative sind.
Dem Thema Nichtlinearität entsprechend möchte ich abschließend auf ein Werk zurückkommen, das zusehends als Klassiker der New Queer Wave am Ende des 20. Jahrhunderts anerkannt wird. In Todd Haynes‘ 1998er Glam-Rock-Musikdrama Velvet Goldmine ist die halluzinatorische Struktur des Films so weitläufig und fließend wie die Sexualität seiner Charaktere. Obwohl es bei seiner Veröffentlichung ein kleiner Flop war, erlebte es in den letzten Jahren eine kritische Renaissance. Ich bin kürzlich auf eine Rezension des Films gestoßen, die ein seltenes und erfrischendes Beispiel dafür liefert, wie sich ein Kritiker mit den ein Binärsystem aufbrechenden Methodiken des Films und der queeren Filmtheorie selbst beschäftigt:
“Velvet Goldmine is often called a gay film, but that obscures the universal resonance of its queer coming-of-age narrative. Better to think of it as a bisexual film that uses non-binary sexuality as a metaphor for the boundless possibilities of youth”.
Judy Bermans Einschätzung erfasst die wirbelnde Komplexität der transgressiven Erzählweise und Techniken des Films und steht in exemplarischem Kontrast zu den entschlossen monosexuellen Lesarten zeitgenössischer queerer Filme. Viele der in diesem Artikel aufgeführten Filme enthalten tatsächlich lesbische und schwule Beziehungen, und es ist wichtig, diese Begriffe zu verwenden, um sie zu bezeichnen. Aber, wie die Filmtheoretikerin Maria San Filippo es treffend ausdrückt, „sind menschliche Sexualität und Begehren nicht reduzierbar auf und immer schon über binäre Denkweisen hinaus“. Diese Filme sind lesbisch, schwul und mehr. Sie in leicht vermarktbare Schachteln der Sexualität zu zerlegen, bedeutet, die Arbeit zu verringern, die sie bei der Erforschung von Grenzräumen zwischen binären Werten leisten. Und solange wir uns von der Einstellung leiten lassen, dass jemand entweder das oder jenes ist, gibt es auch wenig Hoffnung auf größere Fortschritte bei der Repräsentation von trans- und nicht-binären Menschen. Zweifellos werden die TEDDY-Filme dieses Jahres weiterhin solche Barrieren abbauen und die Notwendigkeit von Vielfalt und Intersektionalität innerhalb des queeren Films angehen. Als Publikum sollten wir der Komplexität ihrer Geschichten gerecht werden, indem wir Haynes‘ frechen Zwischentitel in Velvet Goldmine berücksichtigen:
“Meaning is not in things but in between them.”
― Norman O. Brown