Dass amerikanische Fernsehserien weltweit Millionen Zuschauer süchtig machen und in allen Feuilletons besprochen und gefeiert werden, ist ja nichts Neues mehr. Dass sie heutzutage den gleichen Stellenwert wie komplexe Weltliteratur haben – auch das ist kein Novum. Über Serien wie „Breaking Bad“ oder „The Wire“ werden nicht nur analytische Abhandlungen geschrieben, sogar komplette Seminare, wie an der Elite-Universität Harvard, werden dazu gegeben. Man hat mit der Serie eine neue Kunstform erschlossen: komplexe Geschichten können über einen längeren Zeitraum erzählt werden, Figuren haben die Möglichkeit sich zu entwickeln – ja sogar sich komplett zu verändern. Doch auch eine weitere Sache scheint sich in dem Kosmos, in dem alles möglich scheint, weiterentwickelt zu haben: die Frauenfiguren.
Während gegen Hollywood zurzeit aufgrund struktureller Benachteiligung von Produzentinnen, Regiseurinnen und Autorinnen und nicht zuletzt aufgrund unter ungleicher Bezahlung und starren Rollenklischees leidenden Schauspielerinnen, ein von der amerikanischen Gleichstellungsbehörde EEOC eingeleitetes Verfahren läuft, scheint sich zeitgleich etwas neues in der Serienlandschaft zu entwickeln: interessante, vielschichtige, komplizierte, starke, unkonventionelle und einflussreiche Frauenfiguren. Detektivinnen, Politikerinnen, Professorinnen, Polizistinnen, Anwältinnen, Hausfrauen, Studentinnen, alleinerziehende Mütter, Gefängnisinsassinnen, usw. Die Bandbreite ist groß!
Ende der 90er galten sogenannte postfeministische Serien wie „Sex and the City“ noch als feministisch und aufklärerisch, doch heute sieht man das anders. Die HBO-Serie „Girls“ nimmt direkten Bezug auf Samantha und Co.; ebenfalls vier Frauen in New York (diese sind jedoch in ihren Zwanzigern), deren Geschichten sich ebenfalls um Liebe, Job und Freundschaften im Big Apple drehen. Während „Sex and the City“ die Messlatte für Frauen noch unrealistisch hoch anlegte (schlank, erfolgreich, spannendes Sexleben), dealen die Protagonistinnen von „Girls“ mit Problemen wie unbezahlten Praktika, schlecht bezahlten Nebenjobs, hohe Mieten, frustrierende Beziehungen mit Männern, schlechten Sex und Gewichtsproblemen. Was sich auf den ersten Blick vielleicht öde und frustrierend anhören mag, bereitet einem auf den zweiten viel Freude und vor allem Identifikationspotenzial. Ein Mädchen, zudem Mitte zwanzig, in einer Großstadt zu sein, macht nunmal nicht immer Spaß, und genau das bringt „Girls“ auf den Punkt. Vielleicht kann „Girls“ auch so gut von Frauen erzählen, weil die Serie selbst von einer Frau erzählt wird. Lena Dunham, Macherin der Serie (Regie, Produktion, Skript und Hauptdarstellerin) ist Ende zwanzig und hat einiges zu erzählen.
Auch in der Serie „Orange Is The New Black“ stehen Frauen im Zentrum. Sie sind schwarz, weiß, lesbisch, kriminell, witzig, alt, dick, gefährlich, homo- und transsexuell. Die Geschichte handelt von einem weißen Mittelstandsmädchen, das von ihrer Vergangenheit eingeholt wird und in den Knast muss. Zuerst geschockt, lernt sie nach und nach die unterschiedlichen Charaktere kennen und freundet sich mit ihnen an. Die Serie handelt von Freundschaft und Liebe, von Rivalität und Spannungen der Frauen untereinander. Die Macherin dahinter heißt Jenji Kohan, TV Autorin, Produzentin und Regisseurin, bekannt durch die Serie „Weeds“, deren Protagonistin eine Witwe ist, die anfängt mit Gras zu dealen, um ihren Lebensunterhalt zu sichern.
In der Serie „How To Get Away With Murder“ spielt Viola Davis eine zwielichtige Professorin und Strafverteidigerin, die mit ihren Studenten in einen Mordfall verwickelt wird und dabei selbst in Verdacht gerät. Die Macherin: eine einflussreiche Frau, namens Shonda Rimes, die bereits die Serien „Greys Anatomy“ und „Private Practice“ kreeirte und von ihrer eigenen Firma „Shondaland“ produzieren lies. Seit 2012 dreht sie die hochgelobte Serie „Scandal“, in deren Mittelpunkt die Krisenmanagerin Olivia Pope steht, die das Weiße Haus vor Skandalen retten soll. Auch Olivia Pope ist eine komplexe Figur, Heldin und Anti-Heldin zugleich. Und mit der Schauspielerin Kerry Washington zugleich die erste afroamerikanische Hauptdarstellerin, die seit den 70ern in einem der drei großen amerikanischen Fernsehsender in einer Serie zu sehen ist.
Die von dem US-Streaming Dienst „Netflix“ produzierte und von Drehbuchautorin Melissa Rosenberg kreierte Serie „Jessica Jones“, die auf dem gleichnamigen Marvel Comic basiert, hat eine von Alkoholsucht und Depressionen gebeutelte Privatdetektivin mit übernatürlichen Kräften zur Protagonistin.
Die Serie „UnReal“ handelt von einer Fernsehproduzentin, die ein Reality-Serie produziert, deren Format dem von „The Bachelor“ nicht unähnlich ist. Nach und nach sieht sie sich mit ihrem Gewissen konfrontiert, als sie entdeckt, welche moralisch fragwürdigen Methoden hinter den Kulissen an der Tagesordnung stehen. Produzentinnen der Serie sind Marti Nixon und Sarah Gertrude Shapiro, wobei letztere in der Serie ihre eigenen Erfahrungen als Produzentin verarbeitet.
Die Liste von Serien mit weiblichen Protagonistinnen in der heutigen Serienlandschaft geht weiter, die Plots und ihre Charaktere scheinen vielfältiger und interessanter als je zuvor und die Tatsache, dass Frauen im Entstehungsprozess mitwirken, nicht unwichtig. Natürlich gibt es auch jede Menge Männer, die interessante Frauenrollen schaffen, aber es braucht mehr Frauen, die in der Lage sind ihre Geschichten zu erzählen. Frauen gehen genauso oft ins Kino wie Männer, aber wieso gibt es so wenig Filme die aus einer weiblichen Perspektive erzählen?
Das Universum der amerikanischen Fernsehserien dehnt sich aus und wird dabei nicht nur größer sondern auch innovativer. Hollywood könnte sich da ruhig mal eine Scheibe abschneiden…
Lena Dunham („Girls“), Mindy Kaling („The Mindy Project“), Jenji Kohan ( „Orange Is The New Black“) und Kristen Wiig („Bridesmaids“) reden mit Emily Nussbaum, Fernsehkritikerin des New Yorker, auf dem Sundance Film Festival über ihre Erfahrungen als Schreiberinnen, Produzentinnen, Schauspielerinnen und Regiseurinnen von Fernsehshows und Filmen.